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Frontal-Angriff auf den Rechtsstaat

Frontal-Angriff auf den Rechtsstaat

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Frontal-Angriff auf den Rechtsstaat
Alexander Dobrindt (CSU) gegen das Grundrecht auf Rechtsschutz

In der vergangenen Woche scheiterte in Ellwangen der Versuch der Direktabschiebung eines Asylbewerbers nach Italien. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte dessen Asylantrag zuvor als unzulässig abgelehnt, weil es Italien für die Durchführung des Verfahrens für zuständig hielt.

Kurz nach der gescheiterten Abschiebung rückten mehrere hundert, teils schwer bewaffnete (Sonder-)Einheiten der Polizei nachts in die Landesaufnahmeeinrichtung ein, um den Betroffenen festzunehmen. Dieser befindet sich seitdem in Abschiebehaft. Sein Rechtsanwalt geht davon aus, dass Italien nicht zuständig ist und eine Abschiebung daher rechtswidrig wäre. Immerhin 40 Prozent der Abschiebescheide werden von deutschen Gerichten wegen menschenrechtlicher Bedenken abgelehnt.

Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, äußerte am Wochenende gegenüber der Bild am Sonntag: »Es ist nicht akzeptabel, dass durch eine aggressive Anti-Abschiebe-Industrie bewusst Bemühungen des Rechtsstaates sabotiert und eine weitere Gefährdung der Öffentlichkeit provoziert wird«. Wer mit Klagen versuche, die Abschiebung von Kriminellen zu verhindern, so Dobrindt, arbeite nicht für das Recht auf Asyl, sondern gegen den gesellschaftlichen Frieden.
Weder in dem konkreten Fall, noch grundsätzlich geht es bei Asylsuchenden um ›Kriminelle‹, noch handelt es sich bei medizinischer Versorgung und Diagnostik (Stichwort ›Gefälligkeitsgutachten‹) oder bei der Rechtsvertretung von Geflüchteten um eine ›Industrie‹. Für alle mit dem Rechtsstaat in Konflikt befindlichen Personen gilt:

Die gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit von Behördenentscheidungen ist ein zentrales Element des Rechtsstaats und gerade aus diesem Grunde in Art. 19 Abs. 4 GG als Grundrecht jedes Menschen formuliert. Die Aufgabe der Anwaltschaft ist es, den Einzelnen zur Wahrung seiner Grundrechte gegen den Staat zu schützen. Damit wird der Rechtsstaat nicht sabotiert, sondern verteidigt.

Fakt ist: Unangekündigte Direktabschiebungen – die Betroffenen werden meist mitten in der Nacht aus den Heimen geholt, ihnen wird sodann über mehrere Stunden ohne richterlichen Beschluss die Freiheit entzogen – bedeuten für den Abzuschiebenden sowie alle übrigen Bewohnerinnen und Bewohner des Heims massive Stresszustände und lösen oft existenzielle Ängste aus. Im Jahr 2017 gab es allein am Flughafen Frankfurt/Main 18 Fälle von Selbstverletzungen oder Suiziden im dortigen Transitgewahrsam.
Oft steht zum Zeitpunkt der Abschiebung noch gar nicht endgültig fest, ob diese rechtmäßig durchgeführt werden kann. Dies ist etwa dann der Fall, wenn noch Rechtsmittel gegen die Abschiebung anhängig sind oder aber noch eingelegt werden sollen.

Fakt ist: Dobrindt argumentiert rassistisch. Ohne jeden Skrupel diskreditiert er Geflüchtete zunächst in ideologisch-moralischer Hinsicht, um ihnen sodann das Recht auf Rechte gänzlich abzusprechen. Er legt damit die Axt an einen zentralen rechtsstaatlichen Grundpfeiler, die Rechtsweggarantie, und diffamiert zugleich gezielt die Anwaltschaft in ihrer Arbeit für die Durchsetzung der Rechte von Geflüchteten. Machte man sich seine Terminologie zu eigen, dann wäre Dobrindt beides: ›Gefährder‹ und ›Verfassungsfeind‹; er macht sich zum Vorreiter eines Rechtsverständnisses, das Nicht-Deutsche ausschließen will.

»Das, was Dobrindt hier in völkisch-nationalistischer Rhetorik fordert, ist nichts Anderes als staatlich angeordneter Verfassungsbruch. Eine ganze Gruppe von Menschen soll außerhalb des Rechts gestellt werden – Anwältinnen und Anwälte, die die gerichtliche Überprüfung behördlicher Eingriffe betreiben, werden diffamiert – das ist der Aufruf zum Feindrecht«, so die stellvertretende Vorsitzende des RAV, Rechtsanwältin Franziska Nedelmann. »Wir werden diese Menschen selbstverständlich weiterhin vertreten und unter Ausschöpfung aller Rechtsmittel versuchen, ihre Rechte zu wahren«. Dobrindts Angriffe gegen die Anwaltschaft mögen dem Buhlen um Wähler am rechten Rand geschuldet sein. Sie offenbaren sein vorkonstitutionelles Staatsverständnis jenseits verfassungsrechtlich-demokratischer Standards.

Für den RAV liegt die Gefährdung des gesellschaftlichen Friedens in der Schaffung von Massenunterbringungen, gesellschaftlicher Isolierung, Entrechtlichung von Menschengruppen durch die Einrichtung sog. ›Ankerzentren‹, der Entkernung des Asyl- und Aufenthaltsrechts sowie der verantwortungslosen Hetze von Teilen der Politik.

Die engagierte und konsequente Verteidigung der Grundrechte Einzelner, die selbstverständlich auch bei der Frage einer Ausweisung oder Abschiebung Berücksichtigung finden müssen, soll durch gezielte politische Interventionen wie die von Dobrindt diskreditiert und perspektivisch abgeschafft werden. Hiergegen gilt es sich zur Wehr zu setzen.

Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V.
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