Was ist Mobbing?
Nicht alles, was Mobbing genannt wird, ist auch Mobbing. Der Begriff wird mittlerweile bei jeder Art von Streitigkeiten zwischen Kindern und Jugendlichen verwendet. Daher hier ein kurz gefasster Definitionsversuch:
Bei Mobbing in Schulen und Jugendeinrichtungen geht es immer um Handlungen, die wiederholt und von mehreren Kindern und Jugendlichen über einen längeren Zeitraum gegenüber einzelnen Kindern und Jugendlichen ausgeübt werden mit dem eindeutigen Ziel, diese zu plagen und zu schickanieren. Dabei können solche Handlungen neben Lächerlich-Machen, Erniedrigen, Ausgrenzen und Beleidigen auch Sachbeschädigung und/oder Entwendung von Gegenständen sowie physische Aggressionen umfassen.
Neben der Asymmetrie (mehrere gegen eine/n) ist ein Merkmal von Mobbing in der Schule, dass es häufig verdeckt und heimlich stattfindet und somit den Augen der Lehrkräfte entgeht. Wobei oftmals auch Mobbing-Signale übersehen werden oder übersehen werden wollen; denn der Umgang damit stellt für Lehrkräfte eine Herausforderung dar.
Cyber-Mobbing bedient sich derselben Mechanismen, auch wenn hier die Täterinnen und Täter oft schwerer auszumachen sind. Sie rekrutieren sich fast immer aus dem Umfeld der oder des Gemobbten. Auch hier geht es um Bloßstellen, Ausgrenzen, Beleidigen. Das Perfide am Internet-Mobbing ist die unbeherrschbare Multiplikation der erniedrigenden Kommentare, Inhalte und Bilder, der unkontrollierbaren Verbreitung und der Tatsache, dass sich die Urheberschaft bei dieser Art der Aggression oft nur mit erheblichem technischem und finanziellem Aufwand und unter Zuhilfenahme von juristischem Fachbeistand eindämmen und selten ganz stoppen lässt.
Die Beteiligten
Ob analog oder digital: Trotz der vielen Mobbing-Präventions-Konzepte breitet sich diese verheerende Gewaltform immer weiter aus, mit schweren Folgen für die gemobbten Kinder. Diese können sich oft nicht selbst aus ihrer fatalen Lage befreien. Es kommt vor, dass sie nicht nur geplagt, gedemütigt und verletzt, sondern oft auch so intensiv und wiederholt schwer eingeschüchtert und erniedrigt werden, dass Traumatisierungen und andere bleibende psychische Schäden die Folge sind. In vielen Fällen ist ein Schulwechsel die einzige Rettung für ein traumatisiertes Opfer. Und trotzdem werden manche noch Jahre später von ihren Erlebnissen heimgesucht und tragen sie im tiefsten Innern mit sich.
Kinder und Jugendliche, die mobben, haben die unterschiedlichsten Motive für ihr Handeln. Häufig sind es solche, die mit ihren Aktivitäten über eigene Defizite oder Probleme – seien sie schulischer oder häuslicher Art – hinwegtäuschen möchten. Manchmal sind es aber auch Kinder, die sich langweilen oder die einfach gerne im Mittelpunkt stehen und dies auf konstruktivem Weg nicht schaffen.
Mobber/innen haben fast immer Assistent/innen, in deren „Bewunderung“ für die Mobbenden sich immer auch Angst mischt. Denn jugendliche Mobbing-Täter/innen könnten nicht ohne die stille oder offene Zustimmung der anderen Kinder in ihrer Gruppe agieren. Diese Zustimmung bestätigt sie in ihren Handlungen und treibt sie zusätzlich noch an.
Als Lehrkraft ist man geneigt, typische Opferpersönlichkeiten bei den gemobbten Kindern ausmachen oder auch ein fest umreißbares Profil von Täterinnen und Tätern erkennen zu wollen. Dies ist jedoch schlichtweg zu einfach gedacht; denn es hängt immer von der Zusammensetzung der Gruppe sowie von der mentalen und psychischen Verfassung der Gruppenmitglieder ab, ob Mobbing überhaupt aufkommen und Raum greifen kann. Vor einer Kategorisierung in Opfer- und Täter-Persönlichkeiten muss gewarnt werden, da diese auch so verstanden werden kann, als trügen Mobbing-Opfer die alleinige oder zumindest eine Teilverantwortung an ihrer Situation.
Was tun?
Der fehlende Widerspruch bzw. das bloße Geschehen-Lassen signalisiert außerdem dem oder den Täter/innen eine - vermeintliche - Rechtmäßigkeit ihrer Handlungen. Für sie bedeutet die Unterstützung von anderen mit-mobbenden Schülern eine Bestärkung des eigenen Tuns und gibt ihnen entsprechende Macht. Die Tatsache, dass ihnen von keiner Seite her Einhalt geboten wird, lässt sie in dem Glauben, ihre Tätlichkeiten könnten ja so schlimm auch nicht sein. Es findet hier gewissermaßen eine Werte-Verschiebung statt, die zur Norm wird, je länger die Situation andauert.
Diese Signale haben leider auch eine fatale Wirkung auf das Mobbing-Opfer, das sich infolge der Passivität der anderen nicht nur der Willkür und Übermacht von aggressiven Schüler/innen ausgesetzt sieht, sondern auch zusätzlich die Botschaft erhält, dass deren Treiben rechtens sein muss, da sich niemand empört oder sichtbar protestiert. Viele gemobbte Kinder berichten, dass ihr Gefühl, dass mit ihnen "etwas nicht stimmen" könnte, auf diese Weise weiter verstärkt wird und sie dadurch noch zusätzlich schwächt. Assistent/innen der Mobbenden beobachten, dass das Mobbing-Verhalten keine negativen Folgen nach sich zieht, dass sogar Macht auf sie mit abfärbt und dass die Verantwortung so auf viele Schultern verteilt wird. Außerdem hat die Gruppe ein gemeinsames Ziel, welches den Kindern falsche soziale Sicherheit gibt und eine falsche Stärke suggeriert. So scheint das Mobbing in gewissem Sinne das "Gemeinschafts"gefühl der gesamten Gruppe zu untermauern. Gleichzeitig sind die passiv zuschauenden Schüler/innen erleichtert, nicht selbst Mobbing-Opfer zu werden.
Aber die "Zuschauer/innen" wären eigentlich nicht machtlos. Sie könnten theoretisch das Mobbing verhindern bzw. auflösen, indem sie nicht schwiegen, sondern indem sie handelten und Verantwortung übernähmen. Da aber immer Angst im Spiel ist, vor allem, wenn das Mobbing wie fast immer heimlich abläuft und jede/r denkt, sie/er könnte der nächste sein, ist das gar nicht so einfach.
Wenn Lehrkräfte aufmerksam werden, ist auch hier Vorsicht geboten, aber aus einem ganz anderen Grund: Werden Täter/innen "ge-outet" und zur Rechenschaft gezogen, birgt dies immer die Gefahr, dass Rachegefühle sie zu noch drastischeren Tätlichkeiten anstacheln und die Opfer noch mehr Leid erdulden müssen, ohne dass dies erkannt und gestoppt werden kann. Es gibt Fälle, in denen Mobbing-Opfer still ohne jeglichen Schutz weiter leiden (oftmals, weil sie sich schämen und daher auch die Eltern keine Ahnung haben). In vielen solcher Fälle hilft nur noch ein Schulwechsel seitens des Gemobbten oder ein Schulverweis des oder der Mobber/innen, wenn die Situation des Gemobbten endlich aufgedeckt wird.
Einen viel versprechenden Ansatz zur Intervention bei Mobbing entwickelten die beiden britischen Pädagogen Barbara Maines und George Robinson bereits in den Achziger Jahren. Er nennt sich No Blame Approach, also ein Ansatz, der niemandem die Schuld (no blame) zuweist. Diese nicht strafende Methode macht es möglich, Mobbing in Schulen und anderen Jugendeinrichtungen zu stoppen, indem die Gesamtgruppe in die Verantwortung genommen wird und auf diese Weise das gemobbte Kind unterstützt und geschützt wird. Denn den Mobbenden wird der "der Wind aus den Segeln" genommen , sobald das System, das sich eingespielt hat, nicht mehr funktioniert und Mitschülerinnen und Mitschüler über die Situation der/des Gemobbten informiert sind, sie oder ihn im Blick haben und sich gegen das Mobbing stellen.
Wo kann man sich darüber informieren?
Wie dieser Ansatz an Schulen umgesetzt werden kann, welche Chancen und Grenzen in ihm liegen, habe ich zusammen mit einer Kollegin in dem Praxis-Handbuch "Mobbing – die etwas andere Gewalt" mit vielen Beispielen aus dem Schulalltag dargestellt. Es handelt sich um ein Fachbuch, das nicht nur das Setting und die Mechanismen von Mobbing mit seinen diversen Akteuren bescheibt, sondern vor allem auch eine Anleitung zum Einsatz der No Blame-Methode an Schulen und Jugendeinrichtungen ist. Die darin enthaltenen Arbeitsblätter und Gesprächsleitfäden dürfen herauskopiert und in der Praxis eingesetzt werden.
Ich habe selbst im Schulalltag viele Male erlebt, wie Mobbing mit dieser Methode gestoppt werden und eine kooperativere Atmosphäre in einer Gruppe entstehen konnte.
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