Angesichts der vielen anderen Konflikte auf der Welt und der Probleme, mit denen Europa zur Zeit behaftet ist, könnte der nicht enden wollende Israel-Palästina-Konflikt leicht in Vergessenheit geraten.
Der Vortrag (am 16 Juni 2018) mit seinen vielen historischen Daten und Zusammenhängen führt vor Augen, dass ohne die Kenntnis der bewegten Geschichte Palästinas die heutige Situation in dieser Region nicht verstanden werden kann.
Herrn Edlinger bebeschäftigte sich in seinem Vortrag vor allem mit dem UN-Teilungsplan für Palästina vom 29. November 1947 in der UN Resolution 181 https://de.wikipedia.org/wiki/UN-Teilungsplan_f%C3%BCr_Pal%C3%A4stina, und was daraus geworden ist.
Sein Fazit, dass die Zweistaaten-Lösung wahrscheinlich auf ein "israelisches Apartheid-System hinauslaufen“ könnte, erfüllt nicht gerade mit Hoffnung.
Das Interview führte Klaus Schampaul.
K.S. Herr Edlinger, wenn man Ihren Namen googelt, dann fallen als erstes Ihre Bücher auf wie: Syrien: Ein Land im Krieg. Hintergründe, Analysen, Berichte oder Libyen: Geschichte - Landschaft - Gesellschaft – Politik oder Palästina - Hundert Jahre leere Versprechen: Geschichte eines Weltkonflikts
um nur einige Bücher der langen Liste zu nennen. "Palästina - Hundert Jahre leere Versprechen" lautete auch der Titel Ihres Vortrags. Was müsste aus Ihrer umfassenden Kenntnis der Situation in Israel und Palästina von welchen Akteuren auf den Weg gebracht werden, um eine friedliche und für beide Seiten erträgliche Lösung herbeizuführen? F.E. Diese Frage spricht die gesamte Problematik des israelisch-palästinensischen Konfliktes, der unter den bedeutenden ungelösten Weltkonflikten sicherlich der längste ist, an. Die Wurzeln des Konfliktes reichen in das Ende des 19. Jahrhunderts (Zionistischer Weltkongress 1897), zumindest aber in die Jahre 1947 (Teilungsresolution der UNO) bzw. 1948 (Gründung des Staates Israel als jüdischer Staat und Vertreibung von 750.000 PalästinenserInnen aus ihrer Heimat) zurück. Eine relativ kurze Antwort auf Ihre Frage ist daher kaum möglich. Ich will es dennoch versuchen: Zunächst geht es aus meiner Sicht einmal um die unterschiedlichen Narrative der historischen Ereignisse. Von israelischer Seite wird de facto bis heute die palästinensische Interpretation der Ereignisse, dass es nämlich im Zuge der Gründung Israels zu gravierenden Ungerechtigkeiten, um es sehr sanft zu formulieren, gekommen ist, massiv abgelehnt. Zuletzt hat das israelische Parlament sogar die Nennung des Ausdruckes „Al Nakba“ unter Strafe gestellt. Die Vertreibung von fast 60% der einheimischen palästinensischen Bevölkerung, die systematische Verhinderung ihrer Rückkehr sowie die weitgehende Zerstörung ihrer Städte und Dörfer wird von den Palästinensern – völlig zurecht – als Kriegsverbrechen (diese Ereignisse werden von den Arabern als „Al Nakba“ - die Katastrophe – genannt) betrachtet. Die Israelis betrachten diese Ereignisse gewissermaßen als mehr oder minder freiwillige Flucht und lehnen jegliche Schuld an diesen Ereignissen ab. Solange also die Israelis nicht anerkennen, dass sie 1947/48 den Palästinensern Gewalt angetan haben und dafür auch die Verantwortung übernehmen, wird es den Palästinensern äußerst schwer fallen, an einen ernsthaften Friedenswillen Israels zu glauben.
Diese völlig unterschiedliche Sicht der historischen Ereignisse ist nach wie vor eines der Haupthindernisse für faire Verhandlungen. Zudem hat sich im Lauf der Jahrzehnte die israelische Führung als arrogant, kompromisslos und leider in gewisser Weise auch als rassistisch erwiesen. Nicht zuletzt aufgrund ihrer militärischen Stärke, ihrer zionistischen Ideologie sowie der Jahrzehnte anhaltenden nahezu bedingungslosen Unterstützung seitens der USA, respektieren die Israelis de facto die Palästinenser nicht als gleichberechtigte Verhandlungspartner, mit denen man gewissermaßen auf gleicher Augenhöhe verhandeln sollte.
Eine wichtige Rolle spielen natürlich die Vereinigten Staaten von Amerika. Diese verhindern leider aufgrund ihrer seit den 60er Jahren nahezu bedingungslosen Unterstützung Israels jegliche Verhandlungen, die man als fair und auf Augenhöhe bezeichnen kann. Wenn immer es z.B. auf der Ebene der Vereinten Nationen zu israelkritischen Beschlüssen von rechtlicher Relevanz kam, haben dies die USA mit ihrem Veto im Sicherheitsrat verhindert. Damit haben sie de facto Israel und seiner Besatzungs- und Vertreibungspolitik freie Hand gegeben. Die USA sind daher seit langem nicht mehr der „ehrliche Vermittler“, als der man sich gerne bezeichnet, sondern eindeutig der Fürsprecher der israelischen Politik, welche konsequent und nachhaltig Völker- und Menschenrecht verletzt. Solange also die USA ihre Politik nicht grundsätzlich ändern (und leider gibt es dafür keinerlei Anzeichen, ganz im Gegenteil), sehe ich keinerlei positive Entwicklungschancen.
Die Europäer spielen hier kaum eine Rolle. Sie sind zwar der „big payer“, was ihre finanziellen Beiträge für die Palästinenser betrifft, aber kein „big player“. Die europäische Haltung ist zudem widersprüchlich und inkonsequent. Solange die wichtigsten europäischen Staaten Israel einen internationalen Sonderstatus einräumen und sie nicht mit denselben rechtlichen Maßstäben messen wie alle anderen Mitgliedsstaaten der UNO, wird sich da auch kaum etwas ändern. So sehr es verständlich ist, dass Länder wie Deutschland und auch Österreich gegenüber Israel als „Staat der Juden“ eine besondere Verantwortung tragen, so ist es andererseits problematisch und einer fairen Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes nicht förderlich, dass sie diese Verantwortung dem seit 1945 universell geltenden Völkerrecht de facto überordnen. Die immer wieder geforderte stärkere europäische Rolle in diesem Konflikt ist daher wenig realistisch. Durch die seit wenigen Jahren plötzlich entdeckte besondere Wertschätzung europäischer Rechtsparteien für Israel ist eine konstruktive Rolle Europas noch weiter in die Ferne gerückt. Ganz im Gegenteil befürchte ich sogar, dass sich Europa de facto der US-Nahostpolitik annähern wird. Das würde dann den Konflikt noch weiter von einer fairen und völkerrechtlich fundierten Lösung weg bringen.
Welche Optionen bleiben also den Palästinensern angesichts dieser Situation? Ehrlich gesagt, sehr wenige. Sie haben derzeit kaum entschlossene Fürsprecher auf dem internationalen Parkett, sind zudem extrem geschwächt durch die nach wie vor nicht überwundene interne Spaltung sowie auch durch die de facto Abwendung der Saudis, der Emiratis und auch Ägyptens, welche ganz offensichtlich gemeinsam mit den USA und Israel einen „Lösungsvorschlag“ ausgearbeitet haben, welcher der schlechteste ist, der je formuliert worden ist.
K.S. Wenn die UNO als Vermittler in diesem heiklen Konflikt keine Rolle mehr spielt, wer könnte dann Ihrer Meinung nach statt dessen ein Aufeinanderzugehen der sich feindselig gegenüber stehenden Parteien initiieren? F.E. Zunächst muss man festhalten, dass die UNO immer nur so stark ist, wie die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates es zulassen. Im Falle des israelisch-palästinensischen Konfliktes sind der UNO bereits seit Jahren die Hände gebunden. So sehr ich es bedaure, sehe ich im Moment niemanden, welcher eine halbwegs chancenreiche Vermittlung, welche auch die Interessen der Palästinenser entsprechend berücksichtigt, zustande bringen könnte.
Die Palästinenser sind also ziemlich auf sich alleine gestellt und müssen sich ganz ernsthaft die Frage stellen, wie sie weitermachen können. Der gegenwärtigen palästinensischen Führung ist das leider kaum zuzutrauen. Aus meiner Sicht müssen sich die Palästinenser auf eine weitere sehr lange Durststrecke einstellen und sich völlig neu aufstellen. Hier erwarte ich mir von Initiativen von unten, also von Organisationen und Initiativen der palästinensischen Zivilgesellschaft, noch am ehesten etwas. Es gibt zahlreiche derartige Gruppe, wie zum Beispiel jene, welche die jüngsten Demonstrationen in Gaza aber auch in der Westbank organisiert haben. Diese Gruppen sind höchst unzufrieden mit ihrer Führung und zwar sowohl mit der Fatah als auch mit der Hamas und haben damit begonnen, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Da diese Bewegung auch unter den israelischen Palästinensern, also jenen ca. 1,5 Millionen Palästinensern mit israelischer Staatsbürgerschaft, Anklang findet, könnte sie durchaus Einiges in Bewegung bringen. Das sehen übrigens auch die Israelis so, weshalb sie auch sehr scharf gegen Demonstrationen in Haifa und anderen palästinensischen Städten in Israel vorgegangen sind.
K.S. Herr Edlinger, wir in Deutschland fühlen uns relativ weit weg von Israel und Palästina. Sie sind jedoch häufig vor Ort und sprechen mit den Menschen dort. Für wie gefährlich schätzen Sie die Situation in Palästina für die Region selbst und für den Weltfrieden ein? F.E. Vor wenigen Jahren noch haben Viele den israelisch-palästinensischen Konflikt als den zentralen in einer Region, welche auch eine Menge weiterer Probleme hat, betrachtet. Tatsächlich hat dieser Konflikt seit 1948 auch einige Kriege ausgelöst. Diese Situation hat sich insoferne etwas geändert, als mit zwei der vier arabischen Nachbarstaaten, Ägypten und Jordanien, es Friedensverträge und auch keine allzu großen Spannungen mehr gibt. Mit den beiden nördlichen Nachbarn Libanon und Syrien ist das anders. Hier mischt Israel nach wie vor massiv mit. Hier geht es aber auch nicht mehr in erster Linie um den Konflikt mit den Palästinensern, sondern um regionale Spannungen, die im Laufe der letzten Jahre zugenommen haben. Die größte Bedrohung für die gesamte Region geht nun zweifellos vom Konflikt mit dem Iran aus. Und daran sind nicht nur die Israelis, sondern auch einige der Golfstaaten beteiligt. Die Palästinenser sind selbst von diesen neuen Feindschaften und Frontstellungen betroffen. So hat der Konflikt zwischen Saudi Arabien und dem Iran ganz wesentlich zu der Annäherung zwischen Saudi Arabien und Israel geführt, frei nach dem Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“. Und dieser Konflikt dominiert nun eindeutig die gesamte Region, und es ist leider nicht auszuschließen, dass dieser noch weiter eskalieren und damit zu einer ganz bedrohlichen Gefährdung des Weltfriedens werden wird. Israel, welches seit Jahren massiv gegen den Iran Stimmung macht, trägt also weiterhin führend dazu bei, dass die Region des Nahen Ostens nach wie vor eine gefährliche Konfliktregion bleibt. Es haben sich halt die Objekte der Feindschaft und der Aggression gewandelt. Israel kann es sich leisten, die Unterdrückung der Palästinenser weiter zu verschärfen, ohne ernsthafte Konflikte mit anderen arabischen Staaten zu riskieren.
K.S. Was können wir als friedensbewegte demokratische Bürger tun, um das Leid der palästinensischen Menschen zu lindern? F.E. Zunächst dadurch, dass wir uns der zuletzt deutlich verstärkten und aggressiver gewordenen israelischen Propaganda widersetzen und die Wahrheit über die kaum mehr erträgliche Situation in Palästina aussprechen. Dazu gehört angesichts der Zurückhaltung (man könnte es auch Feigheit nennen) der meisten Politiker und auch der Medien inzwischen relativ viel Mut. Hier legt man sich mit einer machtvollen Lobby an, der es absolut nicht um Frieden und Achtung der Menschenrechte, sondern um die rücksichtslose Durchsetzung ihrer eigenen expansionistischen Absichten geht. Und diese sind nun einmal auf die Unterdrückung und Entrechtung des Palästinensischen Volkes sowie die Schaffung neuer Frontstellungen und Feindschaften im Nahen Osten ausgerichtet. So torpedieren sie seit Jahren alle Versuche, zweifellos bestehende Probleme mit dem Iran friedlich und auf diplomatische Weise zu lösen. Sie sind nicht Opfer von Konflikten, sondern ganz wesentlich deren Verursacher. Insofern sollten friedensbewegte Europäerinnen und Europäer sich auch ganz massiv für die Aufrechterhalten des Atomdeals mit dem Iran engagieren, denn eine Aufkündigung, wie sie von den USA, Israel und Saudi Arabien gefordert wird, würde nur die Spannungen im Nahen Osten weiter verschärfen und damit auch die Gefahr eines Krieges, welcher Europa unmittelbar betreffen würde.
Ja und dann gibt es natürlich eine Reihe von Möglichkeiten, wie man auch ganz konkret die Palästinenser unterstützen kann. Es gibt zahlreiche Organisationen in Europa, welche Hilfsprojekte zum Beispiel im Rahmen der Olivenernte, durchführen. Es gibt auch regelmäßige Solidaritäsreisen nach Palästina, welche von Solidaritätskomitees und Zeitschriften organisiert werden. Ein besonders mutiges und bemerkenswertes Projekt ist auch das vom Ökumenischen Rat der Kirchen initiierte und von der Diakonie und Pax Christi durchgeführte Ökumenische Begleitprogramm in Palästina und Israel EAPPI, in dessen Rahmen Freiwillige nach Palästina reisen, um dort gemeinsam mit lokalen Nichtregierungsorganisationen zu arbeiten und durch ihre Arbeit diesen auch einen gewissen internationalen Schutz bieten.
K.S. Was denken Sie, wie sich der Ausstieg der USA aus dem UN-Menschenrechtsrat - begründet mit der andauernden Kritik an Israel - auf eine mögliche Friedenslösung mit Palästina auswirken wird?
F.E. Dieser Schritt war zu erwarten, er ist einfach ein Resultat der bedingungslosen Unterstützung Israels durch die USA. Er wird kaum Auswirkungen auf die Situation in Palästina haben, weder positive noch negative. K.S. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, meine Fragen zu beantworten, und viel Erfolg für Ihre Arbeit in der Zukunft!
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