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Das WM-Debakel

Das WM-Debakel

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Als 2010 die Entscheidung Katar getroffen wurde, wusste eigentlich jeder, dass es bei dieser Vergabe nicht mit rechten Dingen zuging, vermutlich auch nicht das erste Mal. Für echte Fußballfans war schon die Entscheidung, das Tournier in einen Wüstenstaat zu verlegen, der jetzt nicht unbedingt für seine Fußball-Leidenschaft bekannt war, und dann auch noch, die WM im Winter bei immer noch über 30 Grad stattfinden zu lassen, ein absolutes No-Go. Damals war es noch lange hin, und das Unwohlsein wurde erst mal verdrängt.

Unabhängig von diesen WM-Entscheidungen ist das Korruptionsproblem bei der FIFA schon seit Jahren ein Dauerthema, auch in den Medien. Die Tatsache, dass dieses milliardenschwere Kartell als gemeinnütziger Verein gilt, ist nicht nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass anderen Vereinen (z. B. Campact, Attac), die sich wirklich für die Gemeinschaft engagieren, die Gemeinnützigkeit entzogen wurde.

Ein Ethik-Kommissar untersucht schon seit Jahren die Umstände der Vergabe an Katar, und da gibt es jetzt auch offenbar Ergebnisse. Auch strafrechtlich wurden immer wieder einzelne Funktionäre belangt, aber eine grundsätzliche Untersuchung und Überprüfung des ganzen korrupten Vereins wurde nie unternommen. Der Weltverband macht weiterhin milliardenschwere Geschäfte trotz der Vermutung, dass dort gelogen, veruntreut und betrogen wird, ganz zu schweigen von der Missachtung jeglicher Werte, die in dem die WM ausführenden Land selbstverständlich zu gelten haben. Nein, die zählen nicht; es geht ums Geschäft.

Vor kurzem hat Herr Infantino noch einen Brief an alle 32 an der WM teilnehmenden Nationen geschrieben, in dem er sie auffordert, sich auf den Fußball zu konzentrieren und Menschenrechtsfragen beiseite zu schieben. Letztere haben bei der Weltmeisterschaft noch nie eine Rolle gespielt. Nehmen wir z. B. die Umsiedlung ganzer indigener Dörfer für den Bau der Stadien der Brasilien-WM 2014.

Die Tatsache, dass in Katar Frauen weniger Rechte haben als Männer, Homosexualität als Hirnschaden angesehen wird und Menschen aus anderen Ländern unter grauenvollen Bedingungen die Fußball-Infrastruktur zu errichten hatten, war schon Jahre lang bekannt und immer wieder Thema in den Medien, ebenso wie die Vermutung, dass Tausende von ihnen für die WM ums Leben gekommen sind.

Heute sind sich auf einmal alle einig, dass die WM niemals an dieses Land hätte vergeben werden dürfen. Trotzdem sollen aber jetzt die Fußballfans die Entscheidung treffen, ob sie zur WM fahren oder ob sie sie sich am TV oder im Public Viewing ansehen wollen. Plötzlich liegt also die moralische Verantwortung für die Katar-WM nicht mehr bei den Veranstaltenden, sondern bei den Fußballfans! Wie unglaublich zynisch ist das denn?!

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