Natürlich muss man Israels Politik kritisieren dürfen, ohne gleich als Antisemit betitelt zu werden. Wenn ich lese, aus welch ultrakonservativen Kräften sich die israelische Regierung zusammensetzt und wie sie Monate lang versucht hat, die Gewaltenteilung auszuhebeln, dann finde ich das selbstverständlich kritikwürdig, so wie es viele Israelis auch tun und deswegen Monate lang gegen ihre eigene Regierung protestiert haben.
Der 07. Oktober 2023 stellt einen Einschnitt in israelisches Leben dar; denn die brutale Ermordung von über tausend Jüdinnen und Juden muss grauenvolle Erinnerungen wachgerufen haben. Wer die Schreckensbilder des Hamas-Terrors angesehen hat, kann diese nicht mehr vergessen!
Israel ist das Land, das Jüdinnen und Juden aus der ganzen Welt Zuflucht geboten hat, nachdem Millionen von ihnen durch die Nazis ermordet wurden. Dass der israelische Staat nicht in der Lage war, seine Bürgerinnen und Bürger vor der unmenschlichen Attacke der Hamas zu schützen, auch das werfen in erster Linie israelische Bürgerinnen und Bürger ihrer Regierung vor. Es grassiert der Vorwurf, dass dies mit ihrer Beschäftigung mit innenpolitischen Querelen zu tun hat.
Dass Juden in Deutschland angegriffen werden, dass jemand sich nicht mehr traut, in der Öffentlichkeit Kippa oder Judenstern zu tragen, dass jüdische Eltern ihre Kinder aus Sorge vor antisemitischen Handlungen nicht mehr in die Schule schicken, dass propalästinensische Demonstrationen in Judenfeindlichkeit ausarten, das ist ungeheuerlich. Was haben Jüdinnen und Juden in unserem Land mit der Politik Israels zu tun? Sie leben in Deutschland und nicht in Israel und haben es hier nicht immer leicht, vor allem in diesen Zeiten.
Als 12jährige sah ich völlig unvorbereitet in meiner Schule den Film „Nacht und Nebel“. Mein Entsetzen war so groß, dass ich die Bilder mein ganzes Leben lang nicht mehr vergessen werde. Was diese Menschen durchgemacht haben, ist so furchtbar, dass es kaum nachvollziehbar ist, wieso nach dem Zweiten Weltkrieg noch Jahrzehnte lang Tausende Nazis in unserem Land hohe Ämter bekleideten und mit ihren Taten davonkamen.
Antisemitismus existiert auf der ganzen Welt, aber in Deutschland scheint er besonders hartnäckig zu sein. In Deutschland war er latent und vielmals auch offen vorhanden. Und wie man sieht, nimmt er jetzt – im Angesicht des Krieges zwischen Israel und Hamas – gefährliche und unerträgliche Formen an. Das dürfen wir nicht zulassen; in unseren Schulen muss der Holocaust wieder verstärkt zum Thema gemacht und die Erinnerung an die grauenvollen Geschehnisse wachgehalten werden.
Dennoch komme ich nicht umhin, mich über den erbarmungslosen Krieg zu empören, mit dem die israelische Regierung den Gazastreifen überzieht. Wenn man die Lehren, die aus dem Zweiten Weltkrieg zu ziehen sind, ernst nimmt, dann können terroristische Massaker wie das der Hamas ebenso wenig geduldet werden wie das Töten von Tausenden von Frauen und Kindern in Gaza. Um es mit den Worten Deborah Feldmanns zu sagen, ist „die einzige Lehre aus dem Holocaust, sich für die Rechte aller Menschen gleichermaßen einzusetzen“ (Deborah Feldmann im Interview mit Michael Hesse in der Frankfurter Rundschau vom 06.11.2023).
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