Wie die Bertelsmann-Studie "zur Chancengerechtigkeit und Leistungsfähigkeit der deutschen Schulsysteme seit 2002" feststellt, hat sich in deutschen Schulen zwar Einiges verbessert, aber 2017 liegt immer noch Vieles im Argen. So sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern nach wie vor riesig. SchülerInnen aus Schleswig-Holstein, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen haben deutlich bessere Lesekompetenz als die aus Berlin, Bremen, Hessen und Baden-Württemberg. In einer Gesellschaft, in der Mobilität wegen Arbeitsplatz-Wechsels immer wichtiger wird, stellt dies ein großes Problem dar, wenn Kinder evtl. den Stoff von mehreren Schuljahren nachholen müssen, je nachdem, von welchem in welches Bundesland sie umziehen. Auch Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf haben in dem einen Bundesland bessere Chancen als in einem anderen; denn noch lange nicht ist die Inklusion in den meisten Ländern so umgesetzt, dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen einen messbaren Vorteil davon haben. Der Bildungserfolg unserer Kinder und Jugendlichen hängt außerdem nach wie vor stark von der sozialen Herkunft ab. In Berlin, Sachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein verlässt laut der Bertelsmann-Untersuchung demnach fast jeder fünfte ausländische Schüler die Schule ohne Abschluss. Das nach wie vor überwiegend dreigliedrige Schulsystem trägt ebenfalls nicht zur Bildungsgerechtigkeit bei. Die unterschiedliche Wertigkeit der Abschlüsse ihrer Kinder ist nicht nur den Eltern bewusst, weswegen das Gymnasium nach wie vor die bevorzugte Schulform ist, sondern auch die Kinder in den weiterführenden Schulen spüren selbst von Anfang an, welche Schulform größere Anerkennung genießt und wo sie sich einzuordnen haben. Verfall und Verwahrlosung vieler Schulen im Lande, fehlende Digitalisierung und Stundenausfall in gigantischem Ausmaß haben mit der Gründung von Privatschulen zu einer weiteren Chancen-Ungleichheit in unserer Gesellschaft geführt, wo nicht nur die soziale Herkunft, sondern auch noch das Portemonnaie der Eltern über spätere Berufschancen mitbestimmen. Maßnahmen zur Behebung der Ungleichheiten lassen sich viele vorstellen:
- die maroden Schulen restaurieren und sanieren und sie so zu lebenswerten Bildungsstätten machen, in denen auch die Mittel und das geeignete Personal zur Förderung verschiedenster Kompetenzen (auch Medienkompetenz) bereit gestellt werden,
- Die Lehrerausbildung an die neuen Herausforderungen (Inklusion, Digitalisiserung, individuelle Förderung, Föderung von Kindern mit Migrationshintergrund) anpassen,
- Voraussetzungen dafür schaffen, dass Kinder aus "bildungsfernen" Elternhäusern in allen Schulformen entsprechend individuell gefördert werden können,
- Kinder mit besonderem Förderungsbedarf unterstützen, indem genügend LehrerInnen und Fachkräfte zur Bewältigung der Inklusionsaufgabe zur Verfügung stehen,
- das Bildungssystem so organisieren, dass gleiche Voraussetzungen in allen Bundsländern geschaffen werden können,
- die Entscheidung für eine Schulform mindestens auf die 7. Klasse – also überall 6 Jahre Grundschule - verschieben und die Durchlässigkeit zwischen den Schulformen auch in den späteren Schuljahren erleichtern,
um nur einige wenige zu nennen. Man kann nur hoffen, dass es nicht noch Jahrzehnte dauern wird, bis die Unterschiede angeglichen werden, wie die Bertelsmann-Stiftung befürchtet. Denn es sei die Aufgabe eines öffentlichen Schulsystems, für "vergleichbare Chancen zu sorgen und ein Mindestmaß an Fähigkeiten zu vermitteln." Im Wahlkampf spielte die Chancen-Ungleichheit in unserer Bildungslandschaft bisher kaum eine Rolle. Da lässt sich nur hoffen, dass die neue Regierung die Erkenntnisse und Ergebnisse der Bertelsmann-Stiftung ernst nimmt und alles tut, um den im Grundgesetz verankerten Grundsatz der Chancengleichheit schleunigst umzusetzen, nicht zuletzt, weil in ihr die Zukunft liegt.
[1] Bertelsmann Stiftung (2017), Institut für Schulentwicklungsforschung Dortmund, Institut für Erziehungswissenschaft Jena (Hrsg.): Chancenspiegel – eine Zwischenbilanz. Zur Chancengerechtigkeit und Leistungsfähigkeit der deutschen Schulsysteme seit 2002.
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